Frieden

Wenn die Macht zur Liebe die Liebe zu Macht übersteigt, erst dann wird die Menschheit endlich wissen, was Frieden heißt.

Jimi Hendrix

Samstag, 4. Juli 2009

Erinnerung

Ein Essay von Thomas Sabottka:

Was brauchen wir zur Erinnerung? Einen marmornen Engel? Eine Steintafel, auf der die Taten verzeichnet sind? Eine pharaonengleiche Pyramide? Ein schlichtes Blumengebinde? Ein Splitter im Herzen? Ein Gedicht?
Wir beerdigen unsere Vergangenheit mit Pomp in großen Mausoleen mit pathetischen Zeremonien. Lobpreisende Grabreden, tränendurchweichte Seidentücher, Blumenmeere und ein Leichenschmaus. Nach gar nicht allzu langer Zeit ist uns die Grabpflege zu mühsam. Der Gang zum Friedhof zu anstrengend. Haben wir nicht die nötige Ruhe um das Unkraut zu zupfen. Und gegen eine recht ordentliche Summe lassen wir die Gräber unserer Verstorbenen vom Friedhofswärter pflegen. Er wird das Laub entfernen und die kleinen Lichter täglich neu entzünden. Unser Gewissen ist beruhigt und wir können uns zurücklehnen.
Ist es besser, wenn wir die körperliche Hülle auf einer Wiese verscharren? Ohne Pomp und Getöse, da die Erinnerung in unseren Herzen ist. Wir brauchen nicht den täglichen Gang zum gepflegten Grab. Wir haben die Liebe in uns, die uns mit dem Verstorbenen, auch über dessen Ableben hinaus, verbindet. Das ist gut.
Aber was ist mit denen, die keiner kennt? Wer erinnert sich an die? Jener dort, ging er freiwillig auf die andere Seite? War er müde? Konnte er die Realität nicht mehr ertragen? Vielleicht folgte er seiner Liebsten. Und da, ein Kind. Niemand kennt es, weiß seinen Namen. Es war offensichtlich nicht gewollt. Es wird nicht vermisst. Es ging nicht freiwillig ins Wasser. Dazu war es noch viel zu klein. Auch der da, man schnitt ihm die Kehle durch, bevor man ihn in den Fluss warf. Aber wo? Manch einer von denen kam von weit her. Man weiß nicht, wie lange er im Wasser lag. Die Strömung ist stark und möglicherweise trieb er kilometerweit, ohne dass man ihn bemerkte. Warum vermisst sie niemand?
Siehe Wanderer: Die Sonne fällt sanft durch die dichten Laubblätter der alten Bäume. Die Donau rauscht im Hintergrund. Der Blick auf ihre dunklen Wasser ist durch eine Staumauer und Büsche verborgen. Sie hat sie einst alle angespült, die Verlorenen, die Vergessenen, die Ignorierten, die Verzweifelten, die Unbekannten. Nimm dir einen Moment Zeit. Setz dich zu mir auf die knarrende Holzbank, die ein paar gute Menschen einst hierhin stellten als sie all denen einen Platz für die letzte Ruhe gaben. Lass uns erinnern. Lass uns gemeinsam denken derer, die hier vergraben sind. Sieh all die schlichten Kreuze, die einfachen Grabsteine. Fällt dir etwas auf? Auf den meisten steht nur ein Wort: Namenlos.